Älter werden oder die Unsichtbarkeit der älteren Frau.

Älter werden oder die Unsichtbarkeit der älteren Frau.

Ich unterhalte mich neulich mit einer guten Freundin über das Thema Älter werden. Und natürlich auch über typische Wunderfalten- Cremes und Falten-Booster, über Fitness- und Meditationskurse und Ernährungsumstellungen speziell für ältere Frauen. Und natürlich auch darüber, dass die Konzentrations-und Leistungsfähigkeit und die Energie immer mehr abnimmt. Und sich schon Mal depressive Gefühle breit machen können. Das Älter Werden zeigt sich zudem leider auch häufig in einer belastenden Schieflage in älteren Beziehungen. (vgl.bitte dazu Blog : Ältere Beziehungen in der Krise, aktuell auf Blogseite 5 von 6 ). Eigene Erkrankungen und Krankheiten des Partners rauben zudem beim Älter Werden immer mehr Raum und Zeit. Arztbesuche strukturieren leider immer häufiger den Alltag als Besuche bei oder von Kindern und Enkeln. Wie langweilig, traurig und unkreativ das Älter Werden dann doch aussehen kann, wenn der Fokus negativ gefärbt ist , und sich folgerichtig ein Gefühl von Unsichtbarkeit einstellen kann, wobei vorallem ältere Frauen von letzterem betroffen zu sein scheinen ! Und genau dies thematisiere ich in diesem Blog.

 

Besonders schlimm wird die Einsamkeit empfunden und beschrieben, wenn man Bekannte oder Freunde quasi nur auf Beerdigungen sieht. Und dies gilt für beide Geschlechter gleichermaßen. Auch dass man vielleicht keine Kinder hat, die einem zur Seite stehen oder die zu sehr mit ihrem eigenen Leben beschäftigt sind. Aber man hat sie schliesslich doch erfolgreich zur Selbstständigkeit erzogen.

Älter werden heisst also auch loslassen lernen !

 

Abgesehen davon sind nicht wenige ältere Frauen, wenn der Partner vor ihnen das Zeitliche segnete und kein hilfreicher eigener Freundeskreis aufgebaut worden war, tatsächlich oft ziemlich einsam. Und manchmal tröstet es dann ungemein Orte und Lokalitäten aufzusuchen, die man in einem anderen Leben gemeinsam besucht hatte und natürlich möchte frau dann auch unkomplizierte nette Kontakte.

 

Einfach nur harmlose Gespräche mit einer zufälligen Tischnachbarin oder einem Nachbarn und dann bitte ausnahmsweise nicht immer über die Corona-Krise. Die Hygiene-und Abstandsregeln rufen zwar zur Vorsicht auf, andererseits kann zuviel Distanz und Einsamkeit seelisch sehr krank machen.

 

Und dann kommt dazu, meinte meine gute Freundin zu mir ganz überzeugt, dass die ältere Frau offensichtlich immer unsichtbarer wird. Sie erzählte weiter begründend, dass sie schon vor mir im Lokal im schönen Aussenbereich war und fast 20 Minuten vergeblich versuchte eine Weinschorle zu bestellen. Der zuständige Kellner bediente offensichtlich alle anderen, irgendwie präsenteren Menschen um sie herum. Häufig Paare oder wenigstens Zweier- oder grössere Gruppen. Es war, als sei sie unsichtbar gewesen. Und das sei beileibe ja nicht das erste Mal, dass es ihr so gegangen sei.

 

Jedenfalls schlürften die meisten ihrer direkten Tischnachbarn bereits  hingebungsvoll ihren Aperol Spritz, während die Freundin immer längere “Zähne” bekam. Und sich schliesslich richtig zurückgesetzt fühlte. Nur ihr persönliches Problem? Zu schüchtern? Keine durchsetzungskräftige Stimme ? Passiert nur ihr das oder auch vor allem Frauen, die gelernt haben, sich eher bescheiden und zurückhaltend im Hintergrund zu halten und keinesfalls unangenehm auffallen zu wollen?

 

 

Und, so meinte beste Freundin weiter, das wäre sicherlich kein Zufall, sondern sie erlebe es nun wirklich zum xsten Mal und wunderte sich auch immer wieder aufs Neue, weil der Kellner überhaupt nicht  übermäßig gestresst wirkte. Und sie sei eben nicht in seinem Wahrnehmungsschema als ältere Einzelperson, eben als ältere Frau, das bestätigte sich heute mal wieder für sie. Seltsamerweise bekamen wir, kaum saßen wir zu Zweit, recht schnell unseren Wunschdrink.

 

Geduldig und bescheiden warten wie die Freundin ?

Und natürlich stellte ich mir nun die ernsthafte Frage, wie ich denn reagiert hätte, würde ich ähnlich empfinden.

“ Sagen Sie mal, wären Sie nicht sauer an meiner Stelle?”, stelle ich mir das dann imaginär dialogisch mit besagtem Kellner vor. Denn natürlich würde ich ihn doch auf mein super langes Warten ansprechen und keinesfalls so geduldig und bescheiden warten wie die Freundin !

Oder ich könnte auch vielleicht zum Kellner sagen: “Das Paar am Nebentisch ist mindestens 10 Minuten nach mir gekommen und hattte schwups das Bierchen. Oder drüben die beiden jungen Frauen, die saßen kaum, schon gab’s den Campari !  Wie sieht es denn jetzt aus, bekomme ich nun bald auch meinen Drink ?“

Und vermutlich würde der Kellner dann nur entgeistert und gar nicht erwischt schauen, etwas von einem Versehen murmeln oder ähnliches.

 

Natürlich wäre auch ich nicht so provokativ und ungeniert wie die Dame unten auf der Abbildung, aber vermutlich würde ich  meinen Bedienungsanspruch deutlich schneller zeigen wie meine Freundin. Also doch auch eine Frage der Persönlichkeit und des Temperaments ?

 

 

 

Und was wäre vermutlich die Folge? Ich bekomme ungünstigstenfalls das Label der älteren Meckerziege, aber dafür endlich meinen Drink. Nun, wenn einem das wurscht ist, wird man nicht so schnell überhört oder übersehen.

 

 

Allmählich fing ich an, das Ganze als ernsthafte Frage zu betrachten und unternahm über einige Zeit hinweg kleine Feldstudien, beobachtete und stellte tatsächlich ähnliches fest: Einzelne, ältere Frauen wurden nur dann bevorzugt schnell bedient, wenn sie dem Kellner bereits bekannt waren.

Ich erzählte das Ganze schliesslich einem guten Freund, der natürlich aus seiner logisch-männlichen Sicht meinte : „Nee, nur weil du ne‘ ältere Frau bist, passiert das nicht, das glaube ich einfach nicht, ist doch Kappes !“

Aber ist das so völlig abwegig ? Schon zu Zweit hat man erfahrungsgemäß bessere Chancen schneller bedient zu werden und weniger als ältere Frau unsichtbar zu sein, zumal dann, wenn man es sich gut gehen lässt und aussser Trinkgeld auch ein Lächeln spendiert.

 

 

Dann mach ich Tage später mal die Stichprobe und winke im Beisein meines Mannes dem Kellner, der auf mein erst dezentes seinen Blick suchen, dann ihm öfter zuzuwinken, einfach nicht reagiert. “Wink du mal,“ bitte ich meinen Mann. Der tut das nur unter Protest, denn das alles wäre ja sowieso Quatsch. Fazit jedoch : die Wartezeit war deutlich verkürzt. Doch kein Zufall ?

 

Es gibt einen Film, der die Unsichtbarkeit der  älteren Frau thematisert. In  “Giulias Verschwinden” gibt es eine Szene im Bus an einem Samstagabend in der typischen Ausgehzeit Junge Leute entern den Bus, stürmen rein und setzen sich auf den Platz der Protagonoistin, die zwar faktisch anwesend, aber eben auch unsichtbar ist, was mit einer Art Überblendtechnik gezeigt wurde. Und dann sagt eine steinalte Frau zu der höchsten Fünfzigjährigen auch noch in einer Szene: “Uns sieht man nicht mehr. Uns Alte. Wir sind unsichtbar.”

 

 

 

Ist das alles also doch nur eine Frage der Einstellung, Einbildung, oder Produkt eines individuellen Minderwertigkeitskomplexes ? Ich glaube Selbstvertrauen hilft hier ungemein.

Die positive Botschaft an dieser Stelle also ist : Auch die ältere Frau kann es üben, weniger unsichtbar zu sein, statt schweigend zu dulden und sich still vor sich hin zu ärgern. Und in Depression zu verfallen.

Rufen Sie also laut und deutlich beim nächsten Mal nicht erst nach 20 Minuten : „Herr Ober, ich möchte bestellen“, weil es kein anderer für Sie tut.

!

 

 

 

 

 

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