Älterwerden

Älterwerden

Spätestens bei der Feier des 40. oder gar 50.Geburtstag der eigenen Kinder, müssen sich Eltern dem Thema des Älterwerdens stellen. Nun kann eine Phase großer Gelassenheit und Dankbarkeit beginnen, aber leider auch eine Altersdepression eingeläutet werden.

Realität im Alter : die wachsende Einsamkeit.

Sind die 75 oder 80 Lebensjahre  überschritten, wird der Lebensalltag älterer Menschen realistischerweise durch chronische, oftmals schwere Erkrankungen und Behinderungen dominiert. Das führt zu erheblichen Einschränkungen. Oft ist alles nur noch beschwerlich, was mutlos und energielos machen und der Altersdepression die Tore weit öffnen kann. Ältere Menschen leben auch oft sehr in der Vergangenheit und ihren Erinnerungen. Die Gegenwart ist immer weniger attraktiv. Partner sind womöglich schon verstorben, der Freundeskreis erheblich reduziert, weil viele sehr krank oder auch verstorben sind.

Erinnerungen alte Frau

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Einsamkeit im Alter lässt Menschen auch intellektuell verkümmern, wenn äußere Anreize fehlen.Treffpunkte und Freundeskreise brechen eher zusammen, als neu zu entstehen. Die Pandemie hinterließ bei der Generation älterer Menschen zudem tiefgreifende Spuren, denn vor allem die Wärme des menschlichen Miteinanders fehlte in Corona-Zeiten total. Enge Kontakte rissen durch die ständige Isolation einfach ab. Neue konnten nicht mehr entstehen. Stattdessen sind eher Beerdigungen im Fokus ! Und der Blick in die Todesanzeigen der lokalen Zeitung wird nun für Viele zur eher „schlechten“ und ziemlich deprimierenden Gewohnheit.

Depression auch mangels besserer Aussichten ?

Oft bricht allerdings auch das letzte Stück Zuversicht bei wachsender Gebrechlichkeit und Abhängigkeit von Hilfskräften weg. Schlimmstenfalls entsteht dann eine große Leere, und immer herrscht dort große Einsamkeit. Der Aktionsradius wird nun immer kleiner.  Nicht wenige ältere Menschen reagieren schließlich darauf depressiv und dann oft bitter, auch mangels besserer Aussichten.

 

Lebensphase Gelassenheit versus Verluste ?

Eigentlich beginnt in den 70er und 80er Jahren aber auch eine Lebensphase, in der ältere Menschen allmählich loslassen und günstigstenfalls damit die realen Verluste des Älter- Werdens akzeptieren lernen, jedoch möglichst ohne traumatisiert zu sein. Älterwerden, aber bitte ohne alt zu wirken, ist allerdings schon mehr Fake als real und immer ein wahres Kunststück ! Über einige Jahre kann das aber durchaus mit Humor und Disziplin und einer immer noch stabilen Gesundheit gelingen. Das sind dann aber auch die Vorzeige- Senioren. Ältere Paare wirken auf jüngere Menschen dann durchaus ermutigend nach dem Motto: auch im Alter kann man Spaß haben.

 

Tatsächlich kann es aber gewissermaßen auch schwierig sein, nach außen tapfer zu lächeln und sich gleichzeitig täglich vom bislang bekannten Körpergefühl und Fähigkeiten zu verabschieden, weil nichts mehr so ist oder bleibt wie es war. Hilfsmittel erleichtern nun zwar das Leben, aber die bisherige Autonomie kann dabei empfindlich gestört sein. Auch das kann sich sehr traurig und verzweifelt anfühlen ! Die Chance nun an einer Altersdepression zu erkranken, erhöht sich nun enorm.

 

Einsam

 

Sich nicht überflüssig, wertlos oder gar belastend für die eigenen  Kinder zu fühlen, und für die Enkel auch nicht in dem Maße mehr da zu sein, wie es der eigene Anspruch noch gerne möchte, ist in Verbindung mit einschränkenden, chronischen Erkrankungen und Behinderungen, verdammt schwer ertragbar. Therapeutische Anfragen in meiner Praxis von besorgten Kinder älterer Eltern, aber auch von diesen selbst, sind mittlerweile gar nicht selten.

 

Gelassen in die hintere Reihe rücken ist oft schwer !

Unser Auftritt auf der Lebensbühne wird eben immer unspektakulärer, je älter wir werden. Ebenfalls kann es dann auch herausfordernd sein, sich emotional allmählich von existentiellen Elterngefühlen zu trennen. Das heißt aber auch gelassen in die hintere „Reihe“ zu rücken und damit der jüngeren Generationen das Scheinwerferlicht zu gönnen.

Senioren in der Werbung sind zudem sehr attraktive Menschen, die natürlich noch alle Sinne zur Verfügung haben. Das Marketing für solche munteren Senioren setzt außer körperlicher und geistiger Beweglichkeit vor allem finanzielle Unabhängigkeit voraus.

Schließlich gelten Senioren, also junge Alte von 70/75 Jahren und weniger gilt das dann für Hochbetagte von 78/80/85 als ein durchaus wichtiger Wirtschaftsfaktor, wenn sie, dank Renten-und Pensionsversorgung, noch über Interesse und Kaufkraft verfügen.

Die am anderen Ende der Skala real existierende Altersarmut ist natürlich weitgehend ausgeblendet und existiert für die Marketingswelt logischerweise nicht. Altersarmut ist tatsächlich unsichtbar, sehr oft weiblich und ebenso oft schambesetzt.  

 

zuwenig Geld in der Hand

Geld regiert die Welt UND das Alter ?

Die Werbung inszeniert rüstige, fröhliche Senioren*innen mit intaktem Freundeskreis beim Kartenspielen, Walken, beim Weintrinken oder Kaffeeklatsch oder auf Reisen oder beim Radsport, Skilaufen, bei der Kosmetikerin usw. So ein Leben und soziale Kontakte kostet natürlich auch Geld ! Genau das haben eben viele Ältere nicht im Übermaß. Das aber entscheidet leider letztlich sehr, ob Älterwerden- trotz gesundheitlicher Einschränkungen- in Würde möglich ist ! 

Senioren beim Kartenspiel

 

Der oder die Seniorin mit genügend Geld im Portemonnaie, kann tatsächlich länger autonom leben, und sich präventiv auch teure Medikamente, Kuren und Hilfskräfte und private Arztbesuche und Klinikaufenthalte leisten. Oder bleibt- so lange es geht- in der eigenen Selbständigkeit, in der Kanzlei, Praxis oder Büro, eben auch finanziell autonom. Der Wirtschaftsfaktor aktiver, gesunder und finanzstarker Senioren ist in der Tat nicht unerheblich. Der Kostenfaktor pflegebedürftiger älterer Menschen dagegen steigt proportional dazu immens in unfassbare, kaum tragbare, und in sehr beunruhigende Höhen.

 

Behinderte alte Frau

 

Lernen auch mit Einschränkungen qualitativ noch gut zu leben, braucht allerdings immens viel Zeit, liebevolle Unterstützung und schließlich finanzielle Mittel und verlässliche Alltagshelfer. Wie fragil aber diese Lebensphase des Älterwerdens wirklich ist, erschließt sich sowohl Eltern als auch Kindern oft nur im oder nach einem Notfall ! 

Solange diese (r) coole, umworbene und solvente Rentner*in noch einwandfrei ein seniorengerechtes Auto fährt und geschickt die beste Gehhilfe benutzt, Lieferdienste und Soziale Netzwerke beansprucht, kulturelle Angebote in exklusiven Clubs wie die z.B. jener der Rotarier bevorzugt, ist die Welt für die finanzkräftigen Alten noch in Ordnung. Sport und Physiotherapie sind hier genauso alltäglich wie ins Kino und Theater gehen.

Die Zielgruppe finanzkräftiger Senioren besucht auch bevorzugt Museen und Kunstausstellungen bei Städte-Trips, geht Shoppen oder auch in die Oper. Ältere Menschen fliegen gerne in wärme Zonen, wenn es bei uns zu kalt ist. Sie sind Mitglied in einem Literatur- oder Filmkreis, oder auch als Schöffe tätig oderviele sind ehrenamtlich eingebunden. Manche sind noch aktiv in einer Seniorenpartei oder in einem kirchlichen Arbeitskreis. Oder man ist einfach die hilfreiche Nachbarin oder der hilfreiche Freund und kann flexibel auf die Bedürfnisse von Kindern und Enkeln reagieren.

 

Eltern sollen möglichst ewig und gesund leben !

Kinder nehmen ihre älteren Eltern- wenn möglich – noch gerne sehr lange als total fit und munter und bitte so wie immer wahr. Mir ging es da bei meinem Vater, der seinen 90.Geburtstag noch feierte, auch nicht anders. Dessen beginnende Demenz habe ich nicht richtig wahrgenommen. Denn Kinder möchten gerne, dass es den Eltern lange und unverändert gut geht. Und sehen dabei oft nicht, wie fragil das Alter macht.

Kinder wünschen sich eben gesunde, muntere und am Leben interessierte Väter und Mütter, die den Rest des Lebens genießen und Freunde und Freude haben !  Die aufgeschlossen bleiben, und mit Udo Lindenberg gesprochen: „Ihr Ding machen“.

Kinder und Eltern leben wirklich jeder immer auch in ihrem eigenen Kosmos, mit häufig sehr wenigen Schnittstellen ! Gut für ältere Eltern wenigstens ein Kind wunderbarerweise in der Nähe zu wissen, aber doch eher selten anzutreffen in Zeiten der Mobilität und Remote -Jobs.

 

Enkelin mit beweglicher Oma

 

Gewünscht sind also sehr gerne bewegliche Großeltern, die noch in der Lage sind, die eigenen Kinder und Enkel zu unterstützen, was örtliche Nähe zueinander voraussetzt. Das aber ist in Zeiten der Mobilität auch immer seltener. Zudem ist dabei nicht mitgedacht, dass    Kinder oft selbst sehr spät Eltern geworden sind und die ältere Generation ebenfalls an Jahren zugelegt hat und dadurch auch immer weniger belastbar ist.

Solange Eltern noch gut drauf sind und die finanziellen Mittel und damit Autonomie haben, klappt es zwischen den Generationen meist problemlos. Immerhin lässt man sich noch weitgehend in Ruhe, zumal, wenn man nicht am selben Ort lebt ! Aber wie labil das Ganze  ist, kann sich ziemlich schnell durch einen unglücklichen Sturz zeigen oder eine beginnende, chronische, oft auch schwere Erkrankung eines oder beider Elternteil verändert das Leben radikal.

Zwischen Anspruch und Wirklichkeit.

Die  Wirklichkeit sieht oft total und komplett anders aus als die bunte Welt der Werbung suggeriert. Eine belastende, chronische Erkrankung und damit körperliche Behinderung eines oder beider Partner oder gar eine jahrelange Bettlägrigkeit, löst ein zeitraubendes und total kostenintensives, vor allem emotional aufreibendes Krankheits- Management aus. Das belastet sowohl betroffene Eltern, aber auch die ganze Familie.

Leben ältere Menschen lange in Paarbeziehungen, ist das nicht nur eine Gnade, denn nun  ergeben sich  ganz spezifische Probleme. Unzufriedenheit  und Erschöpfung durch Überforderung kann sich breit machen, weil die Betreuung eines Partners häufig eine zu große seelische und körperliche Belastung bedeutet und nicht immer bezahlbar zu delegieren ist. Und Kinder sind alleine durch örtliche Distanzen eher seltener Ansprechpartner. Außerdem werden deren Kräfte meist zu intensiv in deren eigener Lebenswelt benötigt.

Kommt dann noch das schwierige Thema Demenz hinzu, kostet das tägliche Leben- mit diesem gewaltigen Verlust der Persönlichkeit und Identität – große Kraft für jenen Partner, der Verantwortung übernehmen muss und meist will. Erschöpfte ältere Menschen, oft von der Umwelt unbemerkt, befinden sich allerdings oft rund um die Uhr im Dauerstress. Überforderung ist hier ständig eingepreist. Dies gilt ebenso für pflegende Kinder und andere Angehörige !

 

 

 Gesunde alte Eltern, die noch ihr eigenes Ding machen, sind für Kinder und Enkel grandios.

Aber schon ein kleiner Fall und ein Beinbruch kann die Bedingungen und bisherigen Rollen bei älteren Eltern erheblich verändern. Besonders drastisch verändert sich das Leben im Alter, wenn der Vater oder die Mutter stirbt und ein Elternteil nun alleine leben muss. Denn genau das verändert die Bedingungen des Alters dramatisch. Das Einsamkeitsrisiko steigt nun enorm und fördert damit leider auch häufig eine Altersdepression.

 

Alterseinsamkeit

 

Für Kinder kann das aber auch eine traumatische Erfahrung sein. Denn die Persönlichkeitsveränderung, die sich im Alter zeigen kann, überfordert so manche Tochter oder Sohn. Auch das Pflegesystem, dass nun zum Einsatz kommt, ist wahrhaftig zum Verzweifeln.

. Ein beeindruckender Buchtipp hierzu : „Wohin mit Vater?“ www.Fischerverlage.DE

Tabuzone : Tod  und die eigene Endlichkeit.

Mit dem Gefühl der Einsamkeit ändert sich die eigene Wahrnehmung auf das Älterwerden schlagartig. Denn die Zukunft ist leider nicht mehr so verheißungsvoll, sondern begrenzt ! Viele empfinden das Alter sogar als bedrohlich und bedrückend. Nehmen physische und psychische Beschwerden weiter zu, sind ältere Menschen auch schneller erschöpft und dann sicherlich schneller  resigniert als Jüngere, einfach, weil sie schneller an ihre Grenzen kommen. Denn zwangsläufig verringert sich ihr Aktionsradius , weil soziale Beziehungen und Kontakte allmählich versickern, nahe Menschen um einen herum sterben und der eigene Gang immer langsamer wird.

Die Furcht vor dem eigenen, voraussehbaren Ende ist recht gegenwärtig. Nicht aber bei den Enkeln und Kindern, die im Hier und Jetzt leben und das Morgen und die Zukunft verheißungsvoll finden. Im Hintergrund verbleibt dagegen bei älteren Menschen immer die eigene Endlichkeit als Grundthema. Auch das drückt auf die Stimmung und muss bestenfalls ständig vor der Familie verdrängt bleiben. Ein wahrhaftig einsam machendes Thema ! Und ein Thema der Altersdepression.

Thema Einsamkeit als politisches Thema !

Familienministerin Lisa Paus gab im Juni 2022 bekannt, dass das Thema Einsamkeit als Coronafolge, nun wirklich im Fokus von Wissenschaft und Politik angekommen sei. Die Bundesregierung setzte dabei auch auf die Digitalisierung älterer Menschen. Aber natürlich ersetzt das Smartphone weder die soziale, analoge Teilhabe am Leben, noch die Nähe des menschlichen Miteinanders. Berücksichtigt wird dabei natürlich, dass heute viele Menschen schon weit vor Corona alleine in Single-Haushalten lebten, sich aber deshalb nicht unbedingt einsam fühlen. Geistiger und körperlicher Abbau, aber auch Isolation und mangelnde Ansprache, macht  ältere Menschen oft sehr einsam und hilflos!

Eine Studie des Kompetenznetzes Einsamkeit, kurz KNE genannt, stellte fest, dass im Mittel 14% der Deutschen vor Corona einsam gewesen wären. Während der Pandemie soll der Anteil auf satte 42% gestiegen sein!

Idealisierung, Verdrängung, Rollentausch.

Jüngere Menschen wissen in der Tat oft sehr wenig von alltäglichen und realen gesundheitlichen Problemen ihrer Eltern. Um in ihrem Leben zu funktionieren, wird die Endlichkeit der Eltern verdrängt. Nicht wenige idealisieren Elternteile, und finden alles cool, was nur dann möglich ist, wenn die Eltern noch weitgehend gesund sind. Manche haben auch sehr große Probleme und meiden den Kontakt. Es herrscht oft wenig Offenheit zwischen Alt und Jung. Denn man will sich nicht belasten oder keine Sorgen auslösen, Verdrängung hat genau diese Funktion. So wird aber lange auch nur der Schein gewahrt und damit nur die sensible, eigene Autonomie geschützt.

Irgendwann überrascht das Leben die Kinder genauso wie die alt gewordenen Eltern, die nun die kindliche Fürsorge benötigen. Es findet ein emotional wichtiger Rollentausch statt, wenn der Pflegefall eintritt.

Das Auszuhalten und die Hilfe überhaupt Anzunehmen, sind übrigens dann die größten Herausforderungen des Alters !

 

 

 

 

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