Der Vorwurf will einerseits Gemeinsames schaffen. Andererseits steht er auch für das Label des Unruhestifters und vorallem des Widerspruchs. Ständige Vorwürfe können durchauch zur Falle mutieren und Beziehungen killen. Meistens eine Partei, realistisch gesehen beide Beteiligte, neigen dabei Recht haben zu wollen.Das kennt man sowohl in Beziehungen als auch in Arbeits-Teams, Talk-Shows und in der großen Politik.
Meinungs- und Haltungs- Unterschiede werden oft wenig geschätzt, sondern gezielt destruktiv bewertet und viel zu negativ kommuniziert. Unser Anspruchsdenken und Harmoniebedürfnis produziert aber ständig Vorwürfe. Denn dabei geht es schliesslich um unsere adressierten Änderungswünsche an unser Gegenüber. Nicht man selbst, sondern der Andere soll sich gefälligst verändern !
Die Vorwurfsfalle als Schuldzuweisung.
„Egal wie ich es mache, ich mache es falsch, und dir kann man doch nichts recht machen.“ Derartige Vorwürfe killen auf Dauer jede Beziehung und weisen einseitig die Schuld zu. Meist besteht schon ein längerer und erbitterter Machtkampf um diese Vorwurfsfalle ständig neu zu beleben. Das Zusammenleben wird immer mehr zur Gefühlsachterbahn. Alles verstärkt sich nun unter Pandemiebedingungen.
Ständige Streitereien werden dabei oft mit viel Bitterkeit ausgefochten. Jeder beharrt auf seiner Position, verharrt in seinen üblichen Streitmustern und will vorallem recht behalten. Keiner gibt nach und kann, auch schweigend, nur die eigene Autonomie unterstreichen ! Und diese „Streitkultur“ zieht sich leider durch alle Paargenerationen.
Ein Vorwurf gleicht oft einer verbalen Ohrfeige.
Immerhin können sich Paare oder der jeweilige Partner auch recht lange der Hoffnung hingeben, dass sich ja wirklich nur der andere ändern muss.Tatsächlich steckt aber hinter jedem Vorwurf auch ein Bedürfnis nach Veränderung und möglichst wertschätzender „neuer“ Nähe. Das aber wird leider oft nur als verbale Ohrfeige kommuniziert und so auch wahrgenommen ! Junge und ebenso erfahrene, ältere Paare kommunizieren nicht selten sehr widersprüchlich miteinander : belehrend, kontrollierend, herabsetzend und dominant und schliesslich im mächtigen Dauer-Schweigen. Dabei verhärten sich die Positionen !
Vorwurf erzeugt Gegenvorwurf.
Und kaum steht ein Vorwurf im Raum, erzeugt es beim Gegenüber wieder einen Gegenvorwurf. Das Gegenteil von Gemeinschaft entsteht. Ständige Vorwürfe zerstören auf Dauer alle Beziehungen, auch professionelle ! Zur Erinnerung : ein Vorwurf will im Ansatz Gemeinschaft wiederherstellen. Aber so, wie er dann ausgesprochen wird, zerstört er sie.
Wie war das noch, diese Sache mit dem Fehdehandschuh ?
Hier sei daran erinnert, dass der hingeworfene Handschuh des Beleidigten das Duell eröffnet, indem der andere ihn aufhebt. Er oder sie stellt sich damit dem „Vorwurf“, also dem vorgeworfenen Handschuh. Wenn der Handschuh liegen bleibt, ist das für den anderen allerdings auch eine Beleidigung. Der Angriff geht damit ins Leere. Was passiert weiter ?
Das kommt auf den Charakter und das Temperament der Beteiligten an. Passiv-aggressiv Gesteuerte lassen i.d.R. den Vorwurf unbeantwortet, was auch als abwertender Act gewertet werden kann.Vor allem von jenem Partner, der unbedingt klären und damit Nähe schaffen will, der mehr moderiert, kompromissbereit ist, und nicht zerstörerisch weiter streiten will.
Einen Vorwurf einfach so im Raum stehen lassen ?
Um im Bild von eben zu bleiben : Nicht zu impulsiv jeden Vorwurf- Fehdehandschuh sofort anziehen! Oder nicht sofort den eigenen Handschuh in den Ring werfen. Also nicht mit einem Gegenvorwurf antworten und damit die Streitspirale erneut andrehen und die Vorwurfsfalle damit weiter zu aktivieren. Das ist tatsächlich eine Einbahnstrasse ! Schlimmstenfalls endet das Ganze in einem Crash.
Wenn verbale Gewalt zur körperlichen Attake mutiert.
Jeder Vorwurf ist natürlich auch eine aggressive Aktion des Partners. Ob das Ganze zum Angriff wird, liegt jedoch ausschliesslich an der Reaktion, also ob und wie der Vorwurf plaziert wurde und wie er angenommen wurde. Sofort mit einer heftigen Gegenattacke zu reagieren, läßt die Vorwurfsfalle zuschnappen.
Türen zuschlagen oder mit Dingen nach dem Partner werfen, vorallem schallende Ohrfeigen, sind körperlich und emotional gewalttätig. Es ist schlimmstenfalls Gewalt, die verbal noch verstärkt werden kann und Menschen zu Tätern werden läßt.
Gewalt gegen Frauen und Kinder hat in Pandemiezeiten erschreckend zugenommen. Die Frauenhäuser sind überfüllt, die Beratungsstellen am Limit. Aber es existiert nicht nur männliche Gewalt, sondern auch weibliche Gewalt.
Männer-Hilfetelefon ?
Tatsächlich wurde die bundesweite Hotline für Männer mit gewalttätigen Partnerinnen, welche seit ca. einem Jahr als Online-Beratung gestartet wurde, sehr stark frequentiert.
Die Vorwurfsfalle als Kampfansage !
Die Vorwurfsfalle ist in jedem Fall auch eine Art von Kampfansage für die meisten Paare. Geht man darauf ein, kann man auch als ewiger Verlierer aus der Situation hevorgehen. Setzt man zur heftigen Gegenattacke an, reagiert man als potenzieller Anheizer und startet eine Dauer-Fehde. Hier ist Coachingbedarf : Streiten kann und sollte man lernen!
Beziehungen können sich in ihren Streitmustern heftig festfahren. Jede auch nebensächlich dahergesagte Bemerkung führt dann schnell zu einem eskalierenden Streit der über die verbale Vorwurfsebene hinausgehen kann. Insbesondere in Coronazeiten drohen derartige Szenarien bis zur körperlichen Gewalt.
Deeskalation und Ortswechsel als Wunderwaffe ?
Es kostet schon große Überwindung, den Vorwurf wirklich im Raum stehen zu lassen und ruhig den Weg der Deeskalation zu suchen. Manchmal ist es aber auch gut die Bühne oder den Raum zu verlassen oder den Ort zu wechseln, zum Beispiel vom Sofa an den Tisch oder umgekehrt. Ist alles zu heftig, ist es durchaus angebracht- allerdings mit Ankündigung- eine Pause einzulegen und für eine Zeit den Raum faktisch zu verlassen.
Natürlich müssen beide Seiten die Deskalation wollen und gemeinsam durchziehen.
Als Paartherapeutin erlebe ich ständig Menschen die den Vorwurf zu ihrem zweiten Vornamen erklären. Natürlich wird dann hier aus einem Gespräch schnell eine Kampfszene, also ein Duell. Der eine Beziehungspartner hat vermutlich die Bemerkungen immer als den Fehdehandschuh aufgehoben und als Angriff empfunden. Und ihn immer schuldbewusst aufgehoben.
Tröstlich am Ende dieses Blogs : ein Kommunikationstraining kann durchaus hilfreich im Rahmen einer Paartherapie sein um eine neue Dimension des Miteinanders zu finden. .