Tatsächlich erlebe ich im Rahmen von Paartherapie oder Beziehungscoaching Mütter und Partnerinnen, die aus der alten Mottenkiste ihrer Erinnerungen jene Zeit der Geburt und der ersten Monate ihres Kindes auspacken, und dies häufig dann in tränenreichen Vorwürfen an den Partner adressieren. Was diesen dann wiederum überfordert ! Klar dabei ist aber auch, wenn sich unser Winzling nicht wohl fühlt, kann das Geschrei erheblich an elterlichen Nerven zerren. Und das kann wiederum auf eine junge Paar- Beziehung auch negative, ja sogar langfristige Wirkungen haben.
Gesprächsnotizen aus einem Setting mit einer „älteren“ Mutter und unglücklichen Partnerin!
Noch 25 Jahre danach erinnerte sich eine Partnerin im Einzelgespräch – als Vorbereitung zum Paargespräch- wie alleine sie sich mit dem ständig schreienden Baby gefühlt habe. Dieses Gefühl begleitete sie allerdings in der Partnerschaft ständig. Sie habe damals sogar Schuldgefühle entwickelt und sich anfänglich als Rabenmutter empfunden, einfach weil sie nur noch erschöpft war.
Ihr gemeinsames Schreibaby wird nun in den dunkelsten Tönen geschildert. Das Ganze wird dann naturgemäß an den rollenimmanenten Partner adressiert, der damals hilflos die“ Bühne“ verlassen habe : “Frauensache, sich um den schreienden kleinen Winzling zu kümmern !”
Das hat sich zum Glück entschieden geändert!
Dem : „O weh, ich habe ein Schreibaby !“, muss nicht zwangsläufig folgen: “ Was habe ich nicht richtig gemacht?“ Denn das verursacht unnötige Schuldgefühle und Verzweiflung. Derartig verunsicherte, oft erschöpfte Mütter, fühlen sich mit ihrem Neugeborenen vom Partner und häufig auch vom Rest der Welt mental alleine gelassen. Die damit verbundene Wochenbettdepression wird heute allerdings zum Glück sehr viel ernster genommen als noch vor 15 oder gar 30 Jahren.
Auch heute noch erlebe ich die eine oder andere frischgebackene junge Mutter, die einfach fürchtet, alles falsch gemacht zu haben, weil sie ihr Baby nicht beruhigen kann. Genau das kann aber auch zu einer traumatisierenden, weil umwerfenden Erfahrung der eigenen Hilflosigkeit und Überforderung mutieren.
Oft kann aber die junge Mutter ihr Baby auch nicht gut dem Partner anvertrauen. Genau das kann in der einerseits innigen, andererseits sehr symbiotischen Stillzeit passieren. Eine überforderte Mutter teilt sich in allen Fasern dem Kind eins zu eins mit. Zumal wenn sie stillt!
Daher ist Hilfe holen und Hilfe annehmen absolut geboten. Väter sind heute jedoch zunehmend in der Care-Arbeit involviert. Partnerschaft und Teamgeist auf Augenhöhe gilt gerade für junge Eltern heute als selbstverständlich. Ist dann bald ein Geschwisterchen hinzugekommen, zeigt sich eine zunehmende Gelassenheit der Eltern. Man hat es ja schon mal geübt!
Reden wir über jüngere und ältere Paare und dem Wunsch nach Nachwuchs!
Laut Bevölkerungsforschung (BiB) ist inzwischen das Aufschieben von Geburten und entsprechend sinkende Geburtenzahlen deutlich zu verzeichnen. Obwohl es laut Studien immer noch zentrales Ziel für die meisten jungen Menschen ist eine Familie zu gründen. Einer der wichtigsten Gründe sinkender Geburtenzahlen im satten Westen liegt klar in der Unsicherheit unserer Weltlage, mit ihren schrecklichen Kriegen, verheerenden Krisen und Klimakatastrophen. Mögliche drohende nächste Pandemien sind ebenfalls Szenarien, die bedrohlich wirken. Es herrscht eine zunehmenden Hilflosigkeit gegenüber der Gewalt und dem Hass unter den Menschen.
Damit wird natürlich das Verschieben oder totale Aufgeben von Kinderwünschen ebenfalls gefördert und auch gut begründet. Für eine alternde Gesellschaft ist das aber eine Katastrophe. Aber vor allem sind es ungewisse, persönliche und wirtschaftliche Bedingungen, die jegliche Lust auf Nachwuchs dämpfen können. Denn eine verlässliche Kindertagesbetreuung, neben bezahlbarem Wohnraum, bleibt für viele Paare einfach illusorisch. Man kann und will sich dann ein Kind einfach nicht leisten !
Die genetische Erklärung des Schreiverhaltens !
Immerhin fand man über das Schrei- und Schlafverhalten und sogar die Brülldauer vor allem im 2. und im 5. Lebensmonat einiges heraus, was für junge, verunsicherte Eltern ziemlich entlastend sein kann. Schwedischen Wissenschaftlern und Wissenschaftlerinnen zufolge, hängt tatsächlich alles mit den Genen, also mit unserem Erbgut zusammen. Um das herauszufinden wählte die Universität Uppsala 998 eineiige und zweieiige Zwillinge Diese haben nämlich eine gleiche Familiensituation und soziales Umfeld sowie gleiche sozialökonomische Aspekte.
Tatsächlich wurde herausgefunden, dass die Gene von Babys eine wesentlich größere Rolle als bisher gedacht spielen. Denn hiernach beeinflussen die Erbanlagen sowohl Schlafqualität als auch Beruhigungsfähigkeit und prägen das Schreiverhalten von Babys.
Das “Schreibaby “ in der Zwillingsforschung !
Die schwedische Studie und Eltern- Befragung wies allerdings ziemliche Unterschiede auf. So wurde von Kindern berichtet, die zehnmal pro Nacht aufwachten, andere dagegen fast nie. Durchschnittlich sollen Zwillinge im Alter von zwei Monaten, ( also im 2. Wachstumsschub) täglich etwa 72 Minuten geschrien haben. Die Babys wachten nun mehr als zweimal pro Nacht auf und brauchten ungefähr etwa 20 Minuten zum Beruhigen.
Im Alter von fünf Monaten ( also im 4.Entwicklungsschub von insgesamt 8 Schüben, über insgesamt 14 Monate verteilt ), war die tägliche Schreidauer immer noch bei durchschnittlich 47 Minuten. Die Kinder im 5.Lebensmonat wachten durchschnittlich 2mal nachts auf, beruhigten sich aber auch dann schon nach ca.14 Minuten.
Wesentliche Erkenntnis : Der genetischer Einfluss auf Schrei-Schlaf-und Beruhigungsverhalten nimmt tatsächlich mit dem Alter bzw. den Lebensmonaten zu. Das macht doch Hoffnung!
Die Dauer des Weines und der genetische Einfluss !
Schlaf – Umfeld und Routinen!
Das unmittelbare Schlafumfeld soll stark beeinflussen, ob sich das Baby wohl fühlt und weniger aufregt. Ist es zu hell, zu warm, zu kalt, zu dunkel, zu einsam, zu laut, zu kratzig, zu glatt , zu viel los, zu wenig los usw. ? Das Wie ist allerdings der Fantasie und Kreativität der Eltern nach wie vor überlassen. Das körpernahe Herumtragen als Routine beruhigt nachweisbar, Bewegung überhaupt.
Wenn der eigene kleine Junge kaum zu beruhigen ist, kann es möglicherweise dann etwas trösten, dass die meisten kleinen Jungs im ersten Lebensjahr mehr schreien und sich beschweren, als das kleine Mädchen von nebenan. Tatsächlich lieferten SOS Kinderdörfer in Garmisch im Jahr 2024 hierzu verwertbare Zahlen. Es wurden tatsächlich mehr Jungs in der Schreiambulanz registriert als kleine Mädchen.
Wissenschaftlicher Blick in mögliche Ursachen.
Die Unruhe von Babys könnte auch ursächlich an der unterschiedlichen Gehirnentwicklung der Geschlechter liegen. Die Universität Cambrigde untersuchte für eine Studie 514 Säuglinge und befand, dass die Jungs zwar größere Gehirne, die Mädchen aber mehr graue Hirnsubstanz hätten, also mehr Volumen!
So gesehen werden männliche Säuglinge mit einer “unreiferen Hirnstruktur “geboren. Genau das aber hat auch Konsequenzen sowohl für die emotionale Fähigkeit zur Selbstregulation als auch für die Sprachentwicklung.
Sprachentwicklung.
Tatsache scheint aber ebenfalls auch zu sein, dass Jungs – statistisch und phasenweise betrachtet- durch das Geschlechtshormon Testosteron mehr Aggressivität und damit Aktivität zeigen als Mädchen. Männliche Schreibabys sollen sich emotional schlechter mit den Reizen der Umwelt auseinandersetzen können als weibliche Babys. Jungs können sich zudem wesentlich später verbal ausdrücken als es kleine Mädchen durchschnittlich können. Hier wird vermutet, dass genau das auch zur Unruhe und Unzufriedenheit von kleinen Jungs beitragen könnte.
Mädchen können dafür öfter zu einem früheren Zeitpunkt als Jungs unterschiedliche Laute und Wörter äußern. Und natürlich wird das ständig von Mutter und Vater gespiegelt und damit die kindliche Sprachentwicklung angefeuert. Jungs die früh zu sprechen anfangen, haben genau diesen Lerneffekt ebenso erlebt. Großeltern sind i.d.R. total verliebt in ihre Enkel und gehen mit ihnen anders um als die Eltern. Das ist gut und wichtig für die emotionale Entwicklung des kleinen Menschen.
Die emotionale Selbstregulation !
Wesentlich jedoch scheint der Aspekt der emotionalen Selbstregulation bei der wissenschaftlichen Betrachtung zu sein. Einfach ausgedrückt stellt sich nämlich die Frage, wie gut es Babys gelingt sich nicht von ihren Gefühlen überwältigen zu lassen.
Hierin scheinen Jungs tendenziell weniger gut als die Mädchen abzuschneiden.( Edward Tronick, Entwicklungspsychologe ) Jungs kamen weniger gut wie Mädchen damit klar, auch für nur kurze Zeit allein gelassen zu werden. Denn sie reagierten wesentlich unruhiger mit Protest, Weinen und Geschrei. Jungs sollen zudem-oft im Gegensatz zu Mädchen – auch unter dem noch nicht entwickelten Darmtrakt und damit mehr zu schmerzhaften Krämpfen und Koliken leiden.
Stereotype oder auch Wirklichkeit?
Bereits die stereotype Vorannahme, dass kleine Jungs einfach die schwierigeren Babys sind, verstärkt letztendlich das elterliche und damit auch das kindliche Verhalten. Damit entwickelt sich nämlich auch ein sich selbst ernährender Mechanismus : das Vorurteil ! Tatsächlich wurde in einer deutschen repräsentativen Panel-Studie (2014) etwas Wichtiges herausgefunden. Mütter von Jungs befanden ihre sechsmonatigen Babys anstrengender und erschöpfender als die Mütter von gleichaltrigen kleinen Mädchen.
Weibliche und männliche Stereotype?
Während Mädchen häufiger als aufmerksam interessiert geschildert wurden, schnitten die Jungs mit einer weniger gezeigten Zugänglichkeit ab. Andererseits gab es bei den Säuglingen auch weitere kleine Unterschiede. Jungs zeigten deutlich mehr Drang zur Bewegung als Mädchen. Klar ist aber hierbei auch die Bandbreite an Temperamenten von sehr ruhigen bis sehr bewegten, unruhigen Babys beider Geschlechter.
Zudem ist natürlich auch klar, dass die Umwelt und auch die Eltern ein Baby im rosa Strampler anders wahrnehmen als das Baby im blauen Hemdchen. Daher bevorzugt man in Studien auch keinesfalls die beobachtenden Eltern, sondern unabhängige , geschulte Menschen, die eben nicht durch den geschlechtsspezifischen Filter schauen.
Andererseits können aber auf der Grundlage von Studien keine finalen Schlussfolgerungen für ganz besonders wirksame Methoden gezogen werden. Das heißt aber auch, es bleibt nach wie vor ein Mysterium, warum sich manches Kleine, vor allem im ersten Vierteljahr heftig aufregt und andere überhaupt nicht.
Eigene Erfahrungen ?
Als Mutter von inzwischen erwachsenen, eineiigen Zwillingsmädchen, selbst Müttern, möchte ich hier allerdings auch den Geschwistereffekt erwähnen. Brüllt der eine Zwilling, macht der andere es ihm gerne nach. Weinen beide, kann das schon mal ein abendfüllendes Programm werden. Dass es aber auch genetisch bedingt sein kann, wenn Kleine noch im 5.Lebensmonat heftig schreien, kann vermutlich auch entlasten. Das wusste ich damals nämlich noch nicht.