Von guten Vorsätzen, Ratschlägen und Wehwehchen die 2018 ebenfalls wieder guten Tag sagen

Von guten Vorsätzen, Ratschlägen und Wehwehchen die 2018 ebenfalls wieder guten Tag sagen

Das neue Jahr ist noch jung, gute Vorsätze sind noch ganz frisch und unsere bekannten Wehwehchen haben es recht einfach vom alten ins Neue Jahr hinüber geschafft und natürlich auch das darüber Reden : „Ach, du hast das auch ? Das habe ich übrigens auch schon gehabt. Genau, das kenne ich. Und ich sage dir, lass lieber das Kortison und die Spritzen und die Antibiotika sowieso weg. Mach Atemtherapie oder noch besser Yoga und chill mal ! Du musst auch unbedingt zu diesem Physio-oder Osteopathiemenschen, wie hieß der noch ?

Da gehen momentan ja alle hin, der tapt auch, muss gut sein. Und vielleicht hilft dir ja auch eine Ernährungsumstellung? Lass mal Fleisch und Kohlehydrate, Zucker und Alkohol und böse Fette, Gluten und Laktose sowieso weg! Denk an die freien Radikale, lass dich nicht stressen ! Du musst dich unbedingt entgiften ! Und mindestens acht Stunden störungsfrei schlafen und deinen nächsten Urlaub am besten sofort planen….“ Das ist ein wahrer gute Vorsätze Overload…

Entlastung und Beruhigung auf der „Sorgenebene“: Gemeinsames Klagen verbindet und tröstet.

Kommen Ihnen solche wohlmeinenden Ratschläge und Gesundheitsideologien bekannt vor? Das  Reden über die sich immer breiter machenden Krankheitsübel hätte man vor Jahren übrigens nur mit Oma Willa, Tante Inge, Onkel Willibald oder Opa Theo assoziiert. Aber weiß Gott niemals mit sich selbst! Genau das aber passiert, und zwar inzwischen, wenn auch vereinzelt, bereits ab Mitte Dreissig, mindestens aber ab Anfang bis Mitte Vierzig. Ab Fünfzig nimmt alles deutlich an Fahrt auf.

Und hier spreche ich tatsächlich sowohl aus meiner privaten als auch meiner Praxiserfahrung. Und jeder stellt sich unwillkürlich hier die Frage: „Bin ich wirklich schon so alt? Muss ich das jetzt nur noch aushalten, wird das mal besser, anders ?“

Gute Vorsätze und Ratschläge

Wir alle kennen gute Vorsätze und Ratschläge, deren Umsetzung schrecklich unrealistisch sind. Und das macht meist nur schlechte Laune und zudem unzufrieden. Da ist es doch vielleicht manchmal einfacher anderen mal zuzuhören, und dabei auch zu hören, wie es die Anderen real machen und vor allem wie es denen dabei so geht. Und dann kann man ja mal selbst erzählen und sich nebenbei auch mit den eigenen Sorgen auseinanderzusetzen.

Die gemeinsame Sorgenebene

Damit bewegen wir uns auf der gemeinsamen „Sorgenebene“, (vgl. Quelle: Bleichhardt, Gaby. Philipps- Universität Marburg. Arbeitsgruppe Klinische Psychologie und Psychotherapie). Die Sorgenebene kann in etwa so verstanden werden, dass die emotionale Betroffenheit der Sprechenden hierbei  i.d.R. nicht sehr tief ist. Derartige Befindlichkeiten und Gefühle gehören ja auch eher in ein Therapiegespräch, von dem man sich zu Recht Erleichterung versprechen sollte.

Das Reden über Krankheiten kann jedoch große Entlastung und Beruhigung erzeugen, besonders, wenn überdimensionale Ängste vor bestimmten Krankheiten vorhanden sind, die sich durch Erkenntnisgewinn, nicht nur über Wikipedia, in Rauch auflösen können.

Miteinander reden trägt zum gegenseitigen Verständnis bei, auch oder gerade beim Thema: Krankheiten

Laut der forschenden Psychotherapeutin Gaby Bleichhardt (Philipps- Universität Marburg), erzeugt das miteinander Reden, beispielsweise beim Stammtisch, Kaffeekränzchen, im Freundes-oder Kollegenkreis oder auch in der Familie, zunächst mal eine Art „Pseudoverarbeitung“.

Damit ist tatsächlich nur eine kurzfristige Erleichterung verbunden. Nicht mehr !

Und vielleicht ist es ja auch einfacher über den steifen Nacken oder Fersensporn zu reden, als über die tatsächliche reale Traurigkeit oder Mutlosigkeit oder tiefe Ängste. Dann doch besser über Grippe reden. Das versteht jeder. Und einander  verstehen ist letztlich doch der Sinn der „Übung“.  

Ausführlich reden, gemeinsam darüber Stöhnen : wunderbar unproduktiv und dabei einfach nur menschlich !

Es geht beim Reden über Krankheiten also gar nicht so sehr um das tatsächliche Verarbeiten, sondern schlicht und ergreifend um den Erfahrungsaustausch. Das Finden gemeinsamer Ebenen oder einfach gemeinsames Klagen, Jammern und Stöhnen ist wichtiger als mögliche effiziente Lösungen. Und genau das finde ich wunderbar unproduktiv und vor allem zutiefst menschlich.

Geschlechtsunabhängiges Stöhnen über Krankheiten

Das Stöhnen über Krankheiten ist übrigens unabhängig vom Geschlecht und nimmt immerhin  60 bis 80 Prozent der gesamten Sprechzeit in Anspruch. Das fand man jedenfalls  in Harvard heraus. Hirnforscher der Universität Harvard haben auch herausgefunden, dass bestimmte Gehirnregionen bei dem über sich selbst Reden positiv angeregt werden. Diese Anregung soll genau so stark sein, wie  wir es bei einem leckeren Essen, bei Sex und- überzeichnet- auch unter Drogen empfinden.

Wir wollen eben alle getröstet werden

Das Reden über Krankheiten muß also keineswegs im Kreis führen oder Ängste verstärken und auch keine Grübelattacken auslösen, sondern kann schlicht die Funktion haben, etwas Tröstliches miteinander gemein zu haben, und wenn es nur um die alte Kniegeschichte geht oder um die ewigen Blasenreizungen und Allergieprobleme. Wir wollen eben alle getröstet werden und sind dadurch schliesslich auch fähig, andere zu trösten.

Immer die gleichen Themen…aber trotzdem nie langweilig?!

Ich denke aber mal, ab einem bestimmten Lebensalter ist es ziemlich normal, dass neben Beruf und den vielleicht noch fordernden Kindern oder schwierigeren Partner- Beziehungen und dem Leben mit älteren Eltern, nun allmählich auch andere Themen die Gespräche im Verwandschafts-und Freundeskreis dominieren.

Es geht dabei meist um nichts lebensbedrohliches, aber immerhin oft um Verschleißerscheinungen, die jeder erlebt und darüber ausführlich reden und stöhnen kann. Denn Jeder hat es eben Mal im Rücken, also im Kreuz, im Nacken, in der Hüfte und im Knie und vor allem in der Bandscheibe oder das berühmte Pfeifen im Ohr. Jeder hat schon Mal Schonkosterfahrungen, Fersensporn oder Tennisarm und eine Aua-Schulter.

Und zugegeben, schaut man in den Altersdurchschnitt von solchen Gesprächsrunden, sind es eher die mittleren oder älteren Semester, die diese Themen ziemlich gut drauf haben, vermutlich, weil andere Themen von jüngeren Menschen einfach nicht mehr relevant und präsent sind.

Am liebsten reden wir aber über uns selbst.

Wir hören uns zwar bereitwillig auch die Leidensgeschichten anderer an, aber auch, um an passender Stelle unseren Kommentar setzen zu können, denn am liebsten reden wir über uns selbst.

Und das ist normal narzisstisch , aber auch recht nützlich, denn es hilft uns, soziale  Bindungen zu knüpfen und auch die Zuneigung zu anderen  zu stärken. Wir geben etwas Persönliches über uns preis und erhalten dafür ein externes Feedback zu unseren Sorgen. Es löst zwar unsere schwerwiegenderen Probleme nicht, stärkt aber durchaus  unser Selbstverständnis und unser persönliches Wachstum.

Quelle zum Nachinformieren: „Scientific American“. Beitrag vom  Autor: Adrian F. Ward, Kommunikationswissenschaftler von der University of Texas .

Kleines banales Beispiel, wo ein Geben und Nehmen stattfinden kann, mal so ganz nebenbei.

Eine Freundin ist vielleicht extrem eitel und will keine Lesebrille tragen Diese Abneigung kann sich vermutlich besser durch fremde Argumente auflösen, auch oftmals durch den Hinweis, dass man selbst doch eine Lesebrille nutzt und trotzdem damit gut aussehen kann, oder etwa nicht?

Und an dieser Stelle möchte ich den klassischen Satz zitieren, der schon unzählige Rede-Runden beendet hat: „So, nun haben wir aber genug über Krankheiten geredet.“

Gar nicht so selten wird dieses Fazit ausgerechnet von jenem oder jener Beteiligten gezogen, welche (r) eindeutig die meiste Redezeit über die eigenen Krankheiten beansprucht hat.

Und wie heisst es dazu in einer Volksweisheit : „Reden ist Silber, Schweigen ist Gold.“

Manchmal eben schon.

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