Die Mythologie des Narzissmus.

Die Mythologie des Narzissmus.

 Die antike  Mythologie- und Götterwelt, allen voran der selbstverliebte und als hochmütig geltende Göttersohn Narciss, dient als eine Art  Blaupause für den Narzissmus. Narciss liebte beide Geschlechter. Er ist dabei aber auch immer auf der ständigen Suche nach der vollkommenen, und daher unerfüllbaren Liebe. Narzissmus steht somit auch für die grausame Unfähigkeit, andere lieben zu können.Narzisstische Beziehungen sind sehr leidenschaftlich, zerstörerisch und  meist aussichtslos.

Die Götter Athene und Narziss zeigen ein typisches Beispiel für so eine „leidenschaftlich- aussichtslose“ Beziehung. Und hier geht recht bipolar zu : mit der  Idealisierung einerseits ( Grandiosität)  und Abwertung und Abweisung andererseits. Verbunden ist das alles mit Minderwertigkeitsgefühlen und Selbstzweifeln. Narzissmus ist Ambivalenz pur ! Oft geht es hierbei um die emotionale Unerreichbarkeit eines Partners, nach dem der Andere sich vergeblich sehnt.

 

Nachschlagen bei Ovid

Bleiben wir bei der antiken Sage von Narziss und der Kriegsgöttin Athene. Die bekannteste Fassung geht wohl auf Ovid zurück . Hier wird ein  wunderschöner Jüngling als Trinkender an einer Quelle beschrieben, in der sich sein Gesicht oder – im Sprach-Duktus der Sage – sein schönes Antlitz spiegelt.

 

trauriger Narciss

 

Auf Ovids Spuren.

Narziss leidet – so die Mythologie – unter seinem Vaterverlust. Flussgott Kephissos war sein Vater und die Quellnymphe Leiriope seine Mutter. Er ist also Kind zweier Wasserwesen und fühlt sich zum Element Wasser und der Quelle entsprechend stark hingezogen, denn sie dient auch als Symbol des Lebensflusses und der eigenen Vergänglichkeit und ist so flüchtig und nicht zu fassen wie sein zitterndes Spiegelbild im Wasser. Das Sich-selbst-festhalten-Wollen ( Ovid, 427 ff. ) wird sehr plastisch beschrieben, also wie Narziss  nach seinem eigenen Spiegelbild im Wasser greift und es vergeblich zu fassen versucht.

 

Und tatsächlich dreht sich Narziss bis zu seinem Tode nur um sich selbst, alle anderen sind nur sein Publikum. Und er würde sehr alt werden, wurde ihm prophezeit, jedoch nur dann, wenn er sich niemals selber kenne. An anderer Stelle heißt es, eine Blume, die Narzisse, würden genau dort  wachsen, wo Narciss lebte und auch starb.

 

Die Sehnsucht das ständig Vermisste im anderen zu suchen. 

In der Sprache der mythologischen Überlieferung wird die tatkräftige, kluge und attraktive Athene und in Narciss verliebte Göttin, zum unerreichbaren Vaterersatz für ihn. Athene möchte dagegen in Narciss die bedingungslos liebende, ihr doch so fehlende Mutter finden, denn sie ist ja die „Kopfgeburt“ von Zeus, einem sehr mächtigen Vater und tatsächlich mutterlos.Beide erhoffen sich das ständig Vermisste im anderen zu finden. Beide sind immer wieder erneut verzweifelt  und enttäuscht vom anderen, weil das Vermisste nicht existiert.

Lieben macht verletzbar ?

Athene verfügt allerdings über große Intellektualität, Schönheit und Klugheit, was ihr natürlich die Mutter nicht ersetzt, aber immerhin den Schmerz über den Verlust dieser emotionalen Nähe lindern soll. Doch eine verliebte Göttin ist vor allem verliebt und eben nicht mehr nur stark und weise, sondern nun als Liebende auch unvollkommen, den Menschen näher als den Göttern und damit sehr verletzbar.

Die hingebungsvoller Frau unhd der narzisstische Mann.

 

Lieben macht verletzbar, erfährt Athene. Und so ist die unterschwellige Bindungsangst und mangelnde Hingabebereitschaft als narzisstische Reaktion im realen Beziehungsalltag durchaus verständlich. Zu hohe Erwartungen an den Anderen werden meistens enttäuscht. Schnell fühlen sich selbstunsichere Menschen schutzlos, unerfüllt, ungeliebt und ängstlich. Der reale Auftritt signalisiert mehr Stärke  als vorhanden ist.Die äußere Fassade und das Größenselbst oder das  falsche Selbst, sollen mit allen Mitteln aufrecht erhalten werden.

 

Athene und Echo

Athene zeigt  ihre Verzweiflung nicht so offen klagend wie die verzweifelte Nymphe Echo. Sie verbirgt – so erzählt Ovid – sorgsam ihre Verletzlichkeit, und erst die Abweisung durch den selbstverliebten Narziss, zeigt, wie stark es sie getroffen hat, so ganz ohne Bedeutung  für den wunderschönen Jüngling Narciss zu sein.

Denn sie gilt schliesslich als Göttin der Weisheit, und als kämpferisch. Sie zeichnet sich durch ihre besonderen Qualitäten aus und wird als stolz, frei, aber auch einsam beschrieben ! Immerhin soll Athene dem Haupte des mächtigen Göttervaters Zeus entsprungen sein und entsprechenden Respekt einflößen.

Von einer verliebten und ebenfalls wirkungslosen Nymphe namens Echo ist in der antiken Mythologie auch die Rede, weil diese ebenfalls unglücklich in den Göttersohn Narziss verliebt ist.

Echo und Athene  verhalten sich jedoch ziemlich konträr zueinander und damit antagonistisch. Denn Beide stehen für die Spaltung durch den Widerspruch der beteiligten Gefühle : Lähmende  Trauer und Verzweiflung bei Echo einerseits, Zorn und Kränkung und Rache bei Athene andererseits, und bei Beiden die unerfüllte Sehnsucht nach Narciss.

 

Die strafende Athene und die immer unsichtbarere Echo.

Die Abweisung durch Narziss muß natürlich gerächt werden. Athene straft Narziss oder wie an anderer Stelle erläutert, eine vergeltende Gottheit“ (Nemesis). So kann die gekränkte Athene ihr eigenes, überlegenes Bild der „göttlichen Grandiosität „wahren.

Sie ist also das Gegenteil der bescheiden im Hintergrund leidenden Nymphe Echo, mit deren verdeckten und im Prinzip typisch weiblichem Narzissmus des stummen, oder auch anklagenden und jammernden Da-Seins als Opfer einer verschmähten Liebe.

Echo wird aus Kummer immer durchsichtiger, unsichtbarer und verschwindet schließlich ganz. Die Göttin Hera soll sie zur Strafe in einen Felsen verwandelt haben, heißt es an anderer Stelle.

Athene als antiker Prototyp der aktiv aggressiven Frau ?

Trotz großer Sehnsucht und unerfüllter Liebe vernichtet Athene den abweisenden Angebeteten, indem sie ihn dazu verhext sich in sein eigenes Spiegelbild in der Quelle zu verlieben. Aber Athene bestraft damit auch sich selbst, denn Narciss bleibt so für sie immer und ewig  unerreichbar !

Vergegenwärtigt man sich die moderne, aktiv aggressive Frau mit ihren unglaublichen Fähigkeiten aber auch Defiziten, ihren Rollenkonflikten und Rollenkämpfen, ihrem emotionalen Hunger nach Bedeutung, Macht, Kompetenz und Anerkennung – bei gleichzeitigem tiefem Bedürfnis geliebt zu werden – so könnte sicherlich Athene hier berechtigt als Patin stehen.

 

Und der psychoanalytische Kontext ? 

Im psychoanalytischem Kontext wird weiblicher, sogenannter offener Narzissmus auch als eine  Form von Grandiosität und Selbst- Idealisierung mit einem Drang zum Perfektionismus beschrieben. Athene wäre mit dieser Charakterisierung der Vollkommenheit vermutlich einverstanden.

Der andere, jener selbstabwertende Pol beim weiblichen Narzissmus, ist durch große Minderwertigkeitsgefühle und Selbstzweifel gekennzeichnet, und erinnert durchaus an die klagende Nymphe und bedeutungslose Echo.

 

Und alltäglicher Narzissmus ?

Unsere oftmals ambivalenten Gefühle zu uns selbst und zu den anderen zeigen im Prinzip unsere unvollkommene Menschlichkeit. Wir bewegen uns ständig- und meist dabei nicht bewusst- zwischen den narzisstischen Polen der Grandiosität und der Idealisierung einerseits  : ” Ich bin die oder der Tollste, Schönste, Tüchtigste, Beste”…, und andererseits in dem Pol der narzisstischen Minderwertigkeit und Opfermentalität: “ Ich bin nichts wert”, ich werde übersehen, denn ich bin ein Nichts. Ich muss es beweisen, dass es nicht so ist ,kann es aber nicht. Ich bin sicherlich schuldig und unfähig ! “ Bei letzterem ist von verdecktem Narzissmus die Rede.

Weiblicher  verdeckter und damit mehr passiv aggressiver Narzissmus, findet immer seinen  Ausdruck im zu geringem Selbstwertgefühl und der Furcht nicht zu genügen und sich unentwegt anstrengen zu müssen, um sichtbarer zu werden und auch zu bleiben.

Und dies erinnert durchaus auch an die verliebte, unbeachtete und unsichtbar werdende Nymphe Echo.

Unsere Projektionen beim Verlieben.

Athene gilt als weise und ist aber auch eine recht einsame Göttin, die sich unglücklicherweise unsterblich in Narciss verliebt hat. Verlieben ist etwas durchaus narzisstisches, da wir den anderen idealisieren und wir uns in ihm spiegeln. Wir projizieren und spiegeln aber auch alles auf den anderen, was wir vermissen, er oder sie soll alles erfüllen. 

 

 

Leider sind wir keine vollkommenen Götter, sondern nur Menschen. Aber selbst Götter sind vor Amors Pfeilen und verwirrenden Gefühlen der Verliebtheit nicht sicher – glaubt man Ovid -.Und so besteht ein innerer Anspruch selbst einem Ideal oder einem perfekten  Bild entsprechen zu müssen, um dem anderen zu gefallen. Alles wird getan um das falsche Selbst zu unterfüttern und die äußere Fassade damit zu stärken. Jüngere ebenso wie ältere Frauen, neigen häufiger dazu, sich abzuwerten und sich minderwertig und wertlos zu fühlen.Das entspricht verdecktem Narzissmus. Meist aber ist das Ideal unerreichbar und so flüchtig wie unser Spiegelbild .

 

Selbstverliebt <1

 

Der Athene-Typus im realen Leben.

Im realen  Leben neigt der „Athene-Typus, also eine aktiv-aggressive Frau, durchaus auch zur narzisstischen Umformulierung alltäglicher Bedingungen und poliert eifrig an ihrem autonomen Selbst- ( Ideal-) Bild, zahlt dabei nicht selten mit Entfremdung von sich selbst und den Beziehungspartnern und leidet versteckt, ähnlich wie Athene, unter der wachsenden Rollendiffusion und sich extrem verändertem Rollenverhalten.

Für  Aufmerksamkeit und Beachtung sowie Wertschätzung oder gar Liebe, muss sie einiges tun. Zu lieben reicht meist nicht, da sie vor allem das  Bedürfniss nach Anerkennung bedienen muß. Denn es wird ihr selten etwas geschenkt – glaubt sie von sich selbst – .

Der offene und der verdeckte Narzissmus.

Es sind gewissermaßen typisch narzisstische Reaktionsmuster welche mit dem offenen oder grandiosen, und unbeirrten Narzissmus und dem verdeckt agierenden ( oder dünnhäutigen, minderwertig-depressiven  ) Narzissmus verbunden sind, und natürlich gibt es- wie überall – Hybride und Mischungen. ( vgl. Kernberg  ).

Und natürlich ähneln sich weiblicher und männlicher Narzissmus: Selbstbewusst, überlegen und unabhängig im oberflächlichen Kontakt, meist nur mit sich selbst beschäftigt, immer auf der Suche nach Anerkennung, Applaus und Zuneigung, mit Manövern der Verführung agierend, mit der Selbstdarstellung, Idealisierung und Dominanz, gutem Eigenmarketing, sowie deutlichem Machtstreben agierend. Diese Aspekte sind mit dem offenen Narzissmus verbunden

Was zeichnet den verdeckten Narzissmus aus ?

Der verdeckte Narzisst hat- dies im Gegensatz zum offenen Narzissten- eine tolle Empfängerqualität mit exzellentem Zuhören, Empfindlichkeit, Gehemmtheit, Scham, aber auch schnellen Demütigungsgefühlen. Er oder sie reagiert sensibel und vermeidet es im Mittelpunkt zu stehen. Insofern ist nachvollziehbar dass ein offener und ein verdeckter Narzisst sich positiv und negativ betrachtet exzellent ergänzen und den anderen als Projektionsfläche dringend  brauchen.

Wichtig hierbei ist : Männer neigen nicht grundsätzlich zum offenen und Frauen nicht automatisch zum verdeckten Narzissmus. Aber es gibt eindeutige Tendenzen. Unter emotionalem Stress neigen narzisstische Männer allerdings als  Abwehrmanöver dazu, emotionalen Druck bis zur Gewalt  auszuüben. 

 

 

Eine Frau kann sich allerdings auch schnell  grandios fühlen, wenn sie erfolgreich einige Kilos verloren hat und ein Mann kann sich unter emotionalem Stress groß und unangreifbar machen oder auch mit verdecktem Narzissmus und dann mit einer Depression reagieren. 

Hinter einer Depression kann sich jedoch ebenso „Gradiosität“ verstecken. Und unter einer grandiosen Fassade oder Maske, kann sich eine Depression verstecken !

 

Transgender und Narzissmus

 

 

 

 

 

 

 

 

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